Papst Franziskus – Apostolisches Schreiben
“Gaudete et exsultate”
Über den ruf zur heiligkeit in der welt von heute (2018)
– III –
- Für einen Christen ist es unmöglich, an seine eigene Sendung auf Erden zu denken, ohne sie als einen Weg der Heiligkeit zu begreifen.
IM LICHT DES MEISTERS
Mt 5, 3-12
Selig, die arm sind vor Gott; / denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig die Trauernden; / denn sie werden getröstet werden.
Selig die Sanftmütigen; / denn sie werden das Land erben.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; / denn sie werden gesättigt werden.
Selig die Barmherzigen; / denn sie werden Erbarmen finden.
Selig, die rein sind im Herzen; / denn sie werden Gott schauen.
Das Herz rein halten von allem, was die Liebe befleckt,
das ist Heiligkeit.
- In der Bibel steht das Herz für unsere wahren Absichten, also für das, was wir über das hinaus, was wir vorgeben, wirklich suchen und ersehnen: »Der Mensch7 sieht, was vor den Augen ist, der Herr aber sieht das Herz« (1 Sam 16,7).
Der Vater, der »das Verborgene sieht« (Mt 6,6), erkennt, was nicht rein ist, das heißt, was nicht ehrlich ist, sondern nur Schale und Anschein, so wie auch der Sohn weiß, was in jedem Menschen ist (vgl. Joh 2,25).
»Selig, die Frieden stiften; denn sie werden
Kinder Gottes genannt werden.«
Um uns herum Frieden säen, das ist Heiligkeit.
- Die Welt des Geredes, gemacht von Menschen, die gerne kritisieren und zerstören, baut den Frieden nicht auf. Diese Menschen sind vielmehr Feinde des Friedens und in keiner Weise selig.
- Wenn wir manchmal in unserer Gemeinschaft Zweifel darüber haben, was zu tun ist, dann »lasst uns also dem nachjagen, was dem Frieden dient« (Röm 14,19), denn die Einheit steht über dem Konflikt.
- Es ist nicht einfach, diesen Frieden des Evangeliums aufzubauen, der niemanden ausschließt, sondern der auch die einschließt, die etwas seltsam sind, die schwierigen und komplizierten Menschen, diejenigen, die nach Aufmerksamkeit verlangen, die verschieden sind, die vom Leben schwer getroffen wurden, die andere Interessen haben.Es ist hart und erfordert eine große Weite des Denkens und des Herzens, weil es nicht um »einen Konsens auf dem Papier […] oder einen oberflächlichen Frieden für eine glückliche Minderheit« geht, noch um einen »Plan einiger weniger für einige wenige«.Ebenso wenig geht es darum zu versuchen, die Konflikte zu ignorieren oder sie zu verschleiern, sondern um »die Bereitschaft, den Konflikt zu erleiden, ihn zu lösen und zum Ausgangspunkt eines neuen Prozesses zu machen«. Es geht darum, Handwerker des Friedens zu sein, weil den Frieden aufzubauen eine Kunst ist, die Gelassenheit, Kreativität, Feingefühl und Geschicklichkeit erfordert.
»Selig, die verfolgt werden um der Gerechtigkeit willen;
denn ihnen gehört das Himmelreich.«
Jeden Tag den Weg des Evangeliums annehmen, auch wenn er Schwierigkeiten mit sich bringt, das ist Heiligkeit.
- »Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen« (25,35-36).
- Aufforderungen die “sine glossa” anzunehmen sind, das heißt, ohne Kommentar, ohne Ausflüchte und Ausreden, die ihnen Kraft entziehen.
- Wenn ich einem Menschen begegne, der in einer kalten Nacht unter freiem Himmel schläft, kann ich fühlen, dass dieser arme Wicht etwas Unvorhergesehenes ist, das mir dazwischenkommt, ein Nichtsnutz und Gauner, ein Störenfried auf meinem Weg, ein lästiger Stachel für mein Gewissen, ein Problem, das die Politiker lösen müssen, und vielleicht sogar ein Abfall, der den öffentlichen Bereich verschmutzt…Oder ich kann aus dem Glauben und der Liebe heraus reagieren und in ihm ein menschliches Wesen erkennen, mit gleicher Würde wie ich, ein vom Vater unendlich geliebtes Geschöpf, ein Abbild Gottes, ein von Jesus Christus erlöster Bruder oder Schwester. Das heißt es, Christ zu sein! Oder kann man etwa die Heiligkeit abseits dieses konkreten Anerkennens der Würde jedes menschlichen Wesens verstehen?
- Wir können kein Heiligkeitsideal in Erwägung ziehen, das die Ungerechtigkeit dieser Welt nicht sieht, wo einige feiern, fröhlich verbrauchen und ihr Leben auf die Neuheiten des Konsums reduzieren, während andere nur von außen zuschauen können und gleichzeitig ihr Leben weiter voranschreitet und armselig zu Ende geht.
VIERTES KAPITEL:
EINIGE MERKMALE DER HEILIGKEIT
IN DER WELT VON HEUTE
- Innerhalb des großen Rahmens der Heiligkeit, die uns die Seligpreisungen und Matthäus 25,31-46 vorlegen, möchte ich einige Merkmale oder spirituelle Ausdrücke aufgreifen, die meines Erachtens nicht fehlen dürfen, um den Lebensstil zu verstehen, zu dem der Herr uns ruft.
Durchhaltevermögen, Geduld und Sanftmut
- »Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns?« (Röm 8,31). Dies ist die Quelle des Friedens, der sich im Verhalten eines Heiligen zeigt. Ausgehend von einer solchen inneren Gefestigtheit besteht in unserer beschleunigten, unbeständigen und aggressiven Welt das Zeugnis der Heiligkeit aus Geduld und Beständigkeit im Guten.
- Die Demut kann im Herzen nur durch Demütigungen Wurzeln schlagen. Ohne sie gibt es weder Demut noch Heiligkeit. Wenn du nicht fähig bist, einige Demütigungen zu ertragen und aufzuopfern, so bist du nicht demütig und befindest dich nicht auf dem Weg der Heiligkeit.
- Ich beziehe mich auf die alltäglichen Demütigungen jener, die schweigen, um ihre Familie zu retten; oder die es vermeiden, gut von sich selbst zu sprechen, und es vorziehen, andere zu preisen, anstatt sich selbst zu rühmen; die weniger glanzvolle Aufgaben wählen, und es sogar manchmal vorziehen, etwas Ungerechtes zu ertragen, um es dem Herrn aufzuopfern…
Freude und Sinn für Humor
- Der Heilige ist fähig, mit Freude und Sinn für Humor zu leben.
- Es gibt schwere Momente, Zeiten des Kreuzes, doch nichts kann die übernatürliche Freude zerstören: »Sie passt sich an und verwandelt sich, und bleibt immer wenigstens wie ein Lichtstrahl, der aus der persönlichen Gewissheit hervorgeht, jenseits von allem grenzenlos geliebt zu sein.« Es ist eine innere Sicherheit, eine hoffnungsfrohe Gelassenheit, die eine geistliche Zufriedenheit schenkt, die für weltliche Maßstäbe unverständlich ist.
- Ich beziehe mich vielmehr auf die Freude, die man in Gemeinschaft erlebt, die man teilt und verteilt, denn »geben ist seliger als nehmen« (Apg 20,35) und »Gott liebt einen fröhlichen Geber« (2 Kor 9,7). Die geschwisterliche Liebe vervielfacht unsere Fähigkeit zur Freude, weil sie uns fähig macht, uns über das Wohl der anderen zu freuen: »Freut euch mit den Fröhlichen« (Röm 12,15).
Wagemut und Eifer
- »Fürchtet euch nicht!«(Mk 6,50). »Ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (Mt 28,20). Diese Worte helfen uns, voranzuschreiten und zu dienen mit jener Haltung voller Mut, die der Heilige Geist in den Aposteln weckte und die sie antrieb, Jesus Christus zu verkünden. Wagemut, Enthusiasmus, mit Freimut sprechen, apostolischer Eifer – all das ist im griechischen Wort parrhesía enthalten, dem Wort, mit dem die Bibel auch die Freiheit einer Existenz ausdrückt, die offen ist, weil sie für Gott und für die anderen verfügbar ist.
- Der selige Paul VI. erwähnte unter den Hindernissen für die Evangelisierung gerade den Mangel an parrhesía: »den Mangel an Eifer, der umso schwerwiegender ist, weil er aus dem Innern entspringt«.Wie oft sind wir versucht, aus Bequemlichkeit am Ufer zu bleiben! Doch der Herr ruft uns, aufs Meer hinauszufahren und die Netze in tieferen Gewässern auszuwerfen (vgl. Lk 5,4). Er lädt uns ein, unser Leben in seinem Dienst zu verausgaben.
- Wie der Prophet Jona sind wir immer latent in der Versuchung, an einen sicheren Ort zu fliehen, der viele Namen haben kann: Individualismus, Spiritualismus, Einschließen in kleine Welten, Abhängigkeit, Sich-Einrichten, Wiederholung bereits festgelegter Schemata, Dogmatismus, Nostalgie, Pessimismus, Zuflucht zu den Normen. Womöglich haben wir uns dagegen gesträubt, ein Gebiet zu verlassen, das uns bekannt und leicht handzuhaben war.Die Schwierigkeiten können jedoch so etwas sein wie der Sturm, wie der Wal, wie der Wurm, der den Rizinusstrauch des Jona vertrocknen ließ, oder wie der Wind und die Sonne, die Jona auf den Kopf brannte; wie für ihn, so können sie auch für uns die Funktion haben, uns zu diesem Gott zurückkehren zu lassen, der Zärtlichkeit ist und der uns auf eine ständige und erneuernde Wanderung mitnehmen möchte.Das Vorbild vieler Priester, Ordensfrauen, Ordensmänner und Laien erinnert uns daran, dass die Kirche nicht viele Bürokraten und Funktionäre braucht, sondern leidenschaftliche Missionare, die verzehrt werden von der Begeisterung, das wahre Leben mitzuteilen.
In Gemeinschaft
- Die Heiligung ist ein gemeinschaftlicher Weg, immer zu zweit.
Der heilige Johannes vom Kreuz sagte zu einem seiner Schüler: Du lebst mit anderen zusammen, »damit sie dich bearbeiten und einüben«.
- Die Gemeinschaft ist dazu berufen, diesen »göttlichen Ort« zu schaffen, »an dem die mystische Gegenwart des auferstandenen Herrn erfahren werden kann«.
- Das Gemeinschaftsleben – sei es in der Familie, in der Pfarrei, in der Ordensgemeinschaft oder in irgendeiner anderen Gemeinschaft – besteht aus vielen kleinen alltäglichen Details.
- Erinnern wir uns daran, wie Jesus seine Jünger einlud, aufmerksam zu sein für die Details.
Das kleine Detail, dass bei einem Fest der Wein ausging.
Das kleine Detail, dass ein Schaf fehlte.
Das kleine Detail der Witwe, die zwei kleine Münzen als Opfergabe gab.Das kleine Detail, für die Lampen Öl in Reserve zu haben, falls der Bräutigam sich verspätet.
Das kleine Detail, seine Jünger aufzufordern, sie sollten nachschauen, wie viele Brote sie hatten.
Das kleine Detail, ein Feuer vorbereitet und Fisch auf dem Grillrost liegen zu haben, während er die Jünger frühmorgens erwartete.
- Die Gemeinschaft, die die kleinen Details der Liebe bewahrt, wo die Mitglieder sich umeinander kümmern und einen offenen und evangelisierenden Raum bilden, ist Ort der Gegenwart des Auferstandenen, der sie entsprechend dem Heilsplan des Vaters heiligt.
In beständigem Gebet
- Der Heilige ist ein Mensch mit einem betenden Geist, der die Kommunikation mit Gott braucht. Ich glaube nicht an eine Heiligkeit ohne Gebet, auch wenn es sich nicht notwendigerweise um ausgedehnte Zeiten oder intensive Gefühle handeln muss.
- Der heilige Johannes vom Kreuz empfahl, sich »zu bemühen, immer in der Gegenwart Gottes zu wandeln – sei es in der wirklichen, in der imaginären oder in der einigenden –, in Abstimmung mit dem, was die Werke erlauben, die man gerade ausführt«.
- Damit dies jedoch möglich ist, sind auch einige Momente nur für Gott notwendig, in Abgeschiedenheit mit ihm.
- Also wage ich es, dich zu fragen: Gibt es Momente, in denen du dich im Schweigen in seine Gegenwart versetzt, ohne Hast bei ihm verweilst und dich von ihm anschauen lässt? Lässt du es zu, dass sein Feuer dein Herz entflammt?
- Das betende Lesen des Wortes Gottes, das »süßer als Honig« (Ps 119,103) und »schärfer als jedes zweischneidige Schwert« (Hebr 4,12) ist, erlaubt uns, innezuhalten und dem Meister zuzuhören, damit er eine Leuchte für unsere Schritte sei, Licht für unsere Wege (vgl. Ps 119,105).Wie die Bischöfe Indiens uns richtig in Erinnerung gerufen haben, ist »die Verehrung des Wortes Gottes […] nicht bloß eine von vielen Andachtsformen, schön, aber etwas Optionales. Sie gehört zum Herzen und zur ureigenen Identität des christlichen Lebens. Das Wort Gottes hat eine ihm innewohnende Kraft, das Leben der Menschen zu verwandeln.«
- Die Begegnung mit Jesus in der Heiligen Schrift führt uns zur Eucharistie, wo eben dieses Wort selbst seine größte Wirksamkeit erlangt, weil die Eucharistie Realpräsenz dessen ist, der das Lebendige Wort ist. Dort empfängt der einzig Absolute die höchste Anbetung, die ihm diese Erde geben kann, weil es Christus selbst ist, der sich hingibt.
FÜNFTES KAPITEL:
KAMPF, WACHSAMKEIT UND UNTERSCHEIDUNG
- Das Leben des Christen ist ein ständiger Kampf. Es bedarf Kraft und Mut, um den Versuchungen des Teufels zu widerstehen und das Evangelium zu verkünden. Dieses Ringen ist schön, weil es uns jedes Mal feiern lässt, dass der Herr in unserem Leben siegt.
Der Kampf und die Wachsamkeit
- Es handelt sich nicht nur um einen Kampf gegen die Welt… Ebenso wenig beschränkt er sich auf ein Ringen mit der eigenen Schwäche… Es ist auch ein beständiger Kampf gegen den Teufel, welcher der Fürst des Bösen ist.
Mehr als ein Mythos
- Der Teufel ist auf den ersten Seiten der Bibel gegenwärtig, an deren Ende aber steht der Sieg Gottes über den Satan. Als Jesus uns das Vaterunser lehrte, wollte er tatsächlich, dass wir am Ende den Vater bitten, er möge uns von dem Bösen erlösen. Der dort benutzte Ausdruck bezieht sich nicht auf etwas Böses im abstrakten Sinn, sondern lässt sich genauer mit „der Böse“ übersetzen. Er weist auf ein personales Wesen hin, das uns bedrängt. Jesus lehrte uns, täglich um diese Befreiung zu bitten, damit die Macht Satans uns nicht beherrsche.
- Der Teufel hat es nicht nötig, uns zu beherrschen. Er vergiftet uns mit Hass, Traurigkeit, Neid, mit den Lastern. Er nützt dann unsere Achtlosigkeit, um unser Leben, unsere Familien und unsere Gemeinschaften zu zerstören, denn er »geht wie ein brüllender Löwe umher und sucht, wen er verschlingen kann« (1 Petr 5,8).
Wach und vertrauensvoll
- nser Weg auf die Heiligkeit zu ist auch ein ständiger Kampf. Wer das nicht akzeptieren will, wird scheitern oder mittelmäßig bleiben. Für den Kampf haben wir die wirksamen Waffen, die der Herr uns gibt: der im Gebet zum Ausdruck gebrachte Glaube, die Betrachtung des Wortes Gottes, die Feier der heiligen Messe, die eucharistische Anbetung, das Sakrament der Versöhnung, die guten Werke, das Gemeinschaftsleben, der missionarische Einsatz.
- Niemand widersteht, wenn er sich entscheidet, an einem toten Punkt stehen zu bleiben; wenn er sich mit Wenigem begnügt; wenn er aufhört, davon zu träumen, sich dem Herrn noch mehr hinzugeben.
Der christliche Sieg ist immer ein Kreuz, doch ein Kreuz, das zugleich ein Siegesbanner ist, das man mit einer kämpferischen Sanftmut gegen die Angriffe des Bösen trägt.«
Die geistliche Korruption
- Die geistliche Korruption ist schlimmer als der Fall eines Sünders, weil es sich um eine bequeme und selbstgefällige Blindheit handelt, wo schließlich alles zulässig erscheint: Unwahrheit, üble Nachrede, Egoismus und viele subtile Formen von Selbstbezogenheit.In einer Erzählung warnte uns Jesus sehr vor dieser trügerischen Versuchung, die uns in die Korruption hineingleiten lässt: Er spricht von einem Menschen, der von einem Dämon befreit wurde. Als dieser meint, dass sein Leben schon rein wäre, wird er am Ende von sieben anderen bösen Geistern heimgesucht (vgl. Lk 11,24-26).
Die Unterscheidung
- Wie wissen wir, ob etwas vom Heiligen Geist kommt oder ob es im Geist der Welt oder im Geist des Teufels seinen Ursprung hat? Die einzige Methode ist die Unterscheidung, die nicht nur ein gutes Denkvermögen und einen gesunden Menschenverstand voraussetzt. Sie ist auch eine Gabe, um die man beten muss.
Eine dringende Notwendigkeit
- Wir sind frei, mit der Freiheit Jesu Christi; doch er ruft uns, das zu prüfen, was in uns ist – Wünsche, Ängste, Furcht, Sehnsüchte – und das, was außerhalb von uns geschieht – die „Zeichen der Zeit“ –, damit wir die Wege der Freiheit in Fülle erkennen: »Prüft alles und behaltet das Gute!« (1 Thess 5,21).
Immer im Licht des Herrn
- Der Unterscheidung bedarf es nicht nur bei außergewöhnlichen Ereignissen, wenn es schwierige Probleme zu lösen gilt oder wenn eine wichtige Entscheidung getroffen werden soll. Sie ist ein Mittel im Kampf, um dem Herrn besser zu folgen. bitte ich alle Christen, es nicht zu unterlassen, jeden Tag im Gespräch mit dem uns liebenden Herrn eine ehrliche Gewissenserforschung zu machen.
Eine übernatürliche Gabe
- Die Unterscheidung ist eine Gnade. Sie schließt Vernunft und Besonnenheit mit ein, übersteigt sie aber; denn sie trachtet danach, das Geheimnis des einzigartigen und unwiederholbaren Plans zu erfassen, den Gott für jeden einzelnen Menschen hegt und der sich inmitten der unterschiedlichsten Lebensumstände und Begrenzungen verwirklicht.
Die Logik des Geschenks und des Kreuzes
- Eine wesentliche Bedingung für das Fortschreiten in der Unterscheidung besteht in der Einübung in die Geduld Gottes und in seine Zeitmaßstäbe, die niemals unseren entsprechen. Er lässt nicht Feuer über die Ungläubigen vom Himmel fallen (vgl. Lk 9,54); er gestattet es den Eifernden nicht, das Unkraut auszureißen, das gemeinsam mit dem Weizen wächst (vgl. Mt 13,29). Zudem bedarf es der Großherzigkeit, denn »geben ist seliger als nehmen« (Apg 20,35).Das bedeutet, zum Verzicht bereit zu sein und sogar alles hinzugeben. Denn das Glück ist paradox, und es schenkt uns die tiefsten Erfahrungen, wenn wir diese geheimnisvolle Logik, die nicht von dieser Welt ist, akzeptieren. So sagte der heilige Bonaventura in Bezug auf das Kreuz: »Das ist unsere Logik.«
- Wenn wir vor Gott die Wege des Lebens prüfen, gibt es keine Räume, die ausgeschlossen bleiben. In allen Bereichen unserer Existenz können wir weiter wachsen und sie etwas mehr Gott übergeben, auch dort, wo wir die größten Schwierigkeiten erfahren. Doch müssen wir den Heiligen Geist darum bitten, dass er uns befreie und jene Angst vertreibe, die uns dazu bringt zu verhindern, dass er in einige Bereiche unseres Lebens eintritt. Er will nicht bei uns eintreten, um zu verstümmeln oder zu schwächen, sondern um die Fülle zu schenken.
Maria!
- Mein Wunsch ist es, dass Maria diese Überlegungen kröne, weil sie wie keine andere die Seligpreisungen Jesu gelebt hat. Sie erbebte vor Freude in der Gegenwart des Herrn, sie bewahrte alles in ihrem Herzen und ließ es von einem Schwert durchdringen. Sie ist die Heilige unter den Heiligen, die Hochgebenedeite, die uns den Weg der Heiligkeit lehrt und uns begleitet.
Sie nimmt es nicht hin, dass wir fallen und liegen bleiben, und zuweilen nimmt sie uns in ihre Arme, ohne uns zu verurteilen. Das Gespräch mit ihr tröstet uns, macht uns frei und heiligt uns.
Papst Franziskus
Gegeben zu Rom, bei St. Peter,
am 19. März, dem Hochfest des heiligen Josef,
im Jahr 2018, dem sechsten meines Pontifikats.