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Punkte am 24. November 2022

Papst Franziskus – Apostolisches Schreiben
Gaudete et exsultate
Über den ruf zur heiligkeit in der welt von heute (2018)

 – II –

Über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute (2018)

19. Für einen Christen ist es unmöglich, an seine eigene Sendung auf Erden zu denken, ohne sie als einen Weg der Heiligkeit zu begreifen.

Jeder Heilige ist eine Sendung; er ist ein Entwurf des Vaters, um zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte einen Aspekt des Evangeliums wider-zuspiegeln und ihm konkrete Gestalt zu verleihen.

20. Im Tiefsten bedeutet Heiligkeit, in Einheit mit ihm die Geheimnisse seines Lebens zu leben: sein verborgenes Leben, sein Leben in der Gemeinschaft, seine Nähe zu den Geringsten, seine Armut und andere Erscheinungs-formen seiner Hingabe aus Liebe.

21. Der Heilsplan des Vaters ist Christus, und wir in ihm. Deshalb ist das Maß der Heiligkeit durch die Gestalt ge-geben, die Christus in uns annimmt, dadurch, wie sehr wir in der Kraft des Heiligen Geistes unser ganzes Leben nach seinem Leben formen.

25. Deine eigene Sendung ist untrennbar mit dem Aufbau jenes Reiches verbunden, das Christus us gebracht hat. Deine Identifikation mit Christus und seinen Wünschen impliziert das Bemühen, mit ihm das Reich der Liebe, der Gerechtigkeit und des Friedens für alle zu errichten. Christus selbst will es mit dir leben, in all den Anstrengungen oder Entsagungen, die es mit sich bringt, wie auch in den Freuden und der Fruchtbarkeit, die es für dich bereithält. Deshalb wirst du dich nicht heiligen, ohne dich mit Leib und Seele hinzugeben, um in diesem Bemühen dein Bestes zu geben.

IM LICHT DES MEISTERS

Mt 5, 3-12 – Die Seligpreisungen

Selig, die arm sind vor Gott;  denn ihnen gehört das Him-melreich.

Selig die Trauernden;  denn sie werden getröstet werden.

Selig die Sanftmütigen;  denn sie werden das Land erben.

Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit;  denn sie werden gesättigt werden.

Selig die Barmherzigen;  denn sie werden Erbarmen finden.

Selig, die rein sind im Herzen; denn sie werden Gott schauen.

Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.

Selig, die verfolgt werden um der Gerechtigkeit willen; denn ihnen gehört das Himmelreich.

Selig seid ihr, wenn man euch schmäht und verfolgt und alles Böse über euch redet um meinetwillen.
Freut euch und jubelt: Denn euer Lohn wird groß sein im Himmel. So wurden nämlich schon vor euch die Propheten verfolgt.

63. Jesus erklärte mit aller Einfachheit, was es heißt, heilig zu sein, und er tat dies, als er uns die Seligpreisungen hinterließ. Es ist notwendig, dass ein jeder auf seine Weise das tut, was Jesus in den Seligpreisungen sagt. In ihnen zeichnet sich das Antlitz des Meisters ab; wir sind gerufen, es im Alltag unseres Lebens durchscheinen zu lassen.

64. Das Wort „glücklich“ oder „selig“ wird zum Synonym für „heilig“, denn es drückt aus, dass der Mensch, der Gott treu ist und nach seinem Wort lebt, in seiner Selbst-hingabe das wahre Glück erlangt.

»Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.«
Im Herzen arm sein, das ist Heiligkeit.

69. Diese Armut im Geiste hängt eng mit jener „heiligen Indifferenz“ zusammen, die der heilige Ignatius von Loyola darlegte. In ihr erlangen wir eine schöne innere Freiheit: »Deshalb ist es nötig, dass wir uns gegenüber allen geschaffenen Dingen in allem, was der Freiheit unserer freien Entscheidungsmacht gestattet und ihr nicht verboten ist, indifferent machen. Wir sollen also nicht unsererseits mehr wollen: Gesundheit als Krankheit, Reichtum als Armut, Ehre als Ehrlosigkeit, langes Leben als kurzes, und genauso folglich in allem sonst« (Geistliche Übungen, 23, 5-6).

 »Selig die Sanftmütigen; denn sie werden das Land erben.«
Mit demütiger Sanftmut reagieren, das ist Heiligkeit.

71. Das ist eine starke Aussage in einer Welt, die seit Anbeginn ein Ort der Feindschaft ist, wo überall gestritten wird, wo auf allen Seiten Hass herrscht, wo wir ständig die anderen klassifizieren, nach ihren Ideen und Gewohnheiten bis hin zu ihrer Art zu sprechen oder sich anzuziehen.

Obwohl es unmöglich erscheint, schlägt Jesus dennoch einen anderen Stil vor: Sanftmut. Das ist es, was er mit seinen eigenen Jüngern praktiziert, und was wir bei seinem Einzug in Jerusalem beobachten können: »Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist sanftmütig und er reitet auf einer Eselin« (Mt 21,5; vgl. Sach 9,9).

72. Für die heilige Thérèse von Lisieux besteht »die voll-kommene Liebe darin […], die Fehler der anderen zu ertra-gen, sich nicht über ihre Schwächen zu wundern« (Selbst-biographische Schriften).

»Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.«
Mit den anderen zu trauern wissen, das ist Heiligkeit.

75. Die Welt schlägt uns das Gegenteil vor: Unterhaltung, Genuss, Zerstreuung, Vergnügen. Eben das macht das Leben gut, so sagt sie uns. Der weltlich Gesinnte beachtet es nicht, er schaut weg, wenn es in der Familie oder in seiner Umgebung Probleme durch Krankheit oder Leid gibt.

76. Der Mensch, der die Dinge sieht, wie sie wirklich sind, der sich vom Schmerz durchdringen lässt und in seinem Herzen weint, ist fähig, die Tiefen des Lebens zu berühren und wahrhaft glücklich zu sein. Er hört auf, vor den schmerzvollen Situationen zu fliehen.

Auf diese Weise findet er, dass das Leben Sinn hat, wenn man dem anderen in seinem Schmerz beisteht, wenn man die fremde Angst versteht, wenn man den anderen Erleichterung verschafft. Er hat solches Mitleid, das ihn erfahren lässt, dass alle Distanz verschwindet. So kann man die Ermahnung des heiligen Paulus annehmen: »Weint mit den Weinenden!« (Röm 12,15).

»Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden gesättigt werden.«

Voll Hunger und Durst die Gerechtigkeit suchen,
das ist Heiligkeit.

78. Die Gerechtigkeit, die Jesus anbietet, ist jedoch nicht wie die, nach der die Welt trachtet, die oft von schäbigen Interessen befleckt und von der einen oder anderen Seite manipuliert wird.

Die Realität zeigt uns, wie leicht es ist, Korruptionsbanden beizutreten oder die tägliche Politik des „do ut des“ mitzu-machen, wo alles Geschäft ist. Und wie viele Menschen leiden unter Ungerechtigkeit, wie viele müssen ohn-mächtig zusehen, wie die anderen abwechselnd den Kuchen des Lebens unter sich aufteilen.

79. Die Gerechtigkeit Jesu wird im Leben eines jeden Wirklichkeit, wenn er in seinen eigenen Entscheidungen gerecht ist, und drückt sich dann in der Suche nach Gerechtigkeit für die Armen und Schwachen aus.

Gewiss kann das Wort „Gerechtigkeit“ Synonym für die Treue zu Gottes Willen in unserem ganzen Leben sein. Wenn wir sie jedoch in sehr allgemeinen Sinn verstehen, vergessen wir, dass sie sich vor allem in der Gerechtigkeit gegenüber den Hilflosen zeigt: »Sucht das Recht! Schreitet ein gegen die Unterdrücker! Verschafft den Waisen Recht, streitet für die Witwen! (Jes 1,17).

»Selig die Barmherzigen; denn sie werden
Erbarmen finden.«
Mit Barmherzigkeit sehen und handeln, das ist Heiligkeit.

80. Die Barmherzigkeit beinhaltet zwei Aspekte: den an-deren geben, helfen, dienen und ebenso vergeben, ver-stehen.

Matthäus fasst es in der Goldenen Regel so zusammen: »Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihnen!« (Mt 7,12).

Das Maß, das wir anwenden, um zu geben, wird im Him-mel bei uns angewendet werden, um uns zu vergelten. Das sollten wir nicht vergessen:

»Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden! Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden! Erlasst einander die Schuld, dann wird auch euch die Schuld erlassen werden!
Gebt, dann wird auch euch gegeben werden!« Ein gutes, volles, gehäuftes, überfließendes Maß wird man euch in den Schoß legen; denn nach dem Maß, mit dem ihr messt, wird auch euch zugemessen werden. (Lk 6,36-38).

82. Jesus preist die selig, die vergeben und es »bis zu siebzigmal siebenmal« (Mt 18,22) tun. Wir müssen daran denken, dass wir alle ein Heer von Begnadigten sind. Wir alle wurden mit göttlichem Erbarmen angeschaut.

Wenn wir uns ehrlich dem Herrn nähern und genau hinhören, werden wir möglicherweise einige Male diesen Tadel vernehmen: »Hättest nicht auch du mit deinem Mitknecht Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte?« (Mt 18,33).

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